Zeichnet eure Vorlesungen auf!

Trag dich ein und wir machen deine Dozierenden anonym für dich darauf aufmerksam, warum es extrem sinnvoll ist alle Vorlesungen aufzuzeichnen und versuchen gemeinsam Überzeugungsarbeit zu leisten

    Offener Brief an die Dozierenden der Uni Münster: Wir fordern, Vorlesungen grundsätzlich aufzuzeichnen!


    Liebe Dozierende,
    die COVID-19-Pandemie ist für alle eine Herausforderung. Auch abseits der drohenden Gefahr einer Infektion belastet der Lockdown die psychische Gesundheit. Zudem erschweren finanzielle Einschnitte das Studium erheblich.
    Auch wir als Studierende sind an der Uni Münster nun mit einem Onlinesemester konfrontiert. Das hat viele Nachteile, aber angesichts der aktuellen Situation sind diese Infektionsschutzmaßnahmen notwendig. Um das Studieren für jede*n zu ermöglichen, fordern wir Sie auf, Vorlesungen grundsätzlich aufzuzeichnen und online zur Verfügung zu stellen.


    Eine soziale Frage

    Das ist keine Forderung nach Bequemlichkeit. Vielmehr handelt es sich zuallerst um eine soziale Frage: Eine Vielzahl von Studierenden hat nicht das Privileg, sich ausschließlich mit der Uni beschäftigen zu können. 
    Studierende, die aus unterschiedlichen Gründen nur wenig oder kein BAföG erhalten und nicht ausreichend von ihren Eltern gefördert werden, sind auf weitere Einkünfte angewiesen. Sie haben nicht die Wahl zwischen Uni oder Job, sondern müssen beides stemmen. Laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks [sic!] waren es 2016 68%, die neben dem Studium jobben. Oft bedeutet das, dass eine synchrone Teilnahme an Vorlesungen unmöglich wird. Ähnliches gilt für die vielen Ehrenamtlichen, die in dieser Zeit eine besonders wichtige Rolle einnehmen. Dazu gehören auch die zahlreichen unbezahlten Fachschaftler*innen sowie Studierende, die an der direkten Pandemiebekämpfung beteiligt sind. Dieser Drahtseilakt ist anspruchsvoll genug und sollte durch flexible Lernangebote der Universität unterstützt statt durch Dozierende noch weiter erschwert werden.


    Studieren mit Kind

    Eltern studieren und das ist gut so. Wir erwarten, dass die Uni sich auf allen Ebenen dafür einsetzt, die Herausforderungen, mit denen Eltern im Studium konfrontiert werden, zu beseitigen. Aber auch jede einzelne dozierende Person muss sich darüber im Klaren sein, dass der Verzicht auf Aufzeichnungen Studierenden mit Kind besonders schadet. Das fängt mit den besonderen Ansprüchen, die an die Flexibilität von Eltern gestellt werden, an und findet gerade seinen Höhepunkt in der zusätzlichen Belastung durch plötzliche Schul- und Kindertagesstättenschließungen. 


    Krankheit

    Im unerwartet eintretenden Krankheitsfall der eigenen Person oder von Angehörigen befindet man sich in der Situation, selbst auskurieren zu müssen oder Angehörige zu pflegen. Dies kann eine Teilnahme an synchronen Veranstaltungen unmöglich machen.


    Vorteil für Studierende mit Beeinträchtigung durch Möglichkeiten wie Untertitel

    Durch einen geringen Mehraufwand lassen sich aufgezeichnete Vorlesungen zusätzlich mit Untertiteln ausstatten. Neben der individuell auswählbaren Geschwindigkeit ermöglichen Untertitel ein niedrigschwelliges Angebot, von dem alle profitieren.


    Koordinierungsstelle Studium mit Beeinträchtigung

    Wir möchten Sie an dieser Stelle außerdem daran erinnern, dass die Koordinierungsstelle Studium mit Beeinträchtigung der Uni für alle Dozierenden sowohl eine Handreichung zur Barrierefreiheit im Allgemeinen, als auch eine zur digitalen Lehre in Zeiten der Corona-Pandemie für Sie und alle Lehrenden bereitgestellt hat.


    Die Argumente gegen Aufzeichnungen lassen sich leicht entkräften:


    Datenschutz

    Die Bedenken beim Datenschutz sind zuerst zu nennen. Studierende dürfen keinesfalls dazu gezwungen werden, dass ihre Daten ungeschützt im Internet veröffentlicht werden. Das lässt sich aber leicht vermeiden und wird von vielen Dozierenden gut umgesetzt. Zoom selbst bietet Möglichkeiten, aufzuzeichnen, für Fragerunden zu pausieren, den Chat für Fragen zu nutzen und durch Aufzeichnung den Studis die Entscheidung zu überlassen, live teilzunehmen. Auch eine nachträgliche Überarbeitung der Aufnahmen ist möglich und zumutbar. Die Teams hinter eLectures haben bereits vor der Pandemie dafür gesorgt, dass aufgezeichnete Vorlesungen entsprechend technisch realisiert waren. Datenschutz im Blick zu behalten ist wichtig, darf aber unter keinen Umständen zu ungenügenden Lösungsansätzen führen, die einem „dann lassen wir das eben“ gleichkommen.


    It’s not Rocket Science.

    Das Argument, dass Ihre Aufzeichnungen gegen Ihren Willen verbreitet würden, können wir nur bedingt nachvollziehen. Ja, das kann passieren. Jedoch ist das in Zoomkonferenzen mit dem passenden Programm jederzeit, auch ohne technisches Know-How, möglich. 
    Zusätzlich sind Sie in besonderer Verantwortung als Dozierende*r. Wir wollen, dass auch Ihre Daten geschützt sind. Als Dozierende*r stehen Sie jedoch in jedem Falle in einer gewissen Öffentlichkeit, während die Mehrheit der Studierenden, wie auch in einer Präsenzveranstaltung, anonymer auftritt.


    Schutzraum für kritische Äußerungen

    Viele Dozierende argumentieren damit, dass sie es nicht wollen, dass ihre „politisch inkorrekten“ Äußerungen frei verfügbar sind. Sollten Sie dazu gehören: Schämen Sie sich! Übernehmen Sie Verantwortung für ihr Handeln und respektieren Sie die tatsächlich Diskriminierten, denen ein Schutzraum vor ihren Äußerungen viel eher zustünde. Wenn Ihre Aussage notwendig und vertretbar ist, dann äußern Sie sie und stehen Sie dazu. Alles andere hat in universitären Veranstaltungen, genau wie auch in jedem anderen Kontext, nichts zu suchen. Ob Sie vor 50, 500 oder 5000 Menschen sprechen: In jedem Fall sind Ihre Aussagen vor einer großen heterogenen Gruppe beinahe öffentlich. Sie benötigen keinen Schutz für kontroverse Ansichten. Stehen Sie dazu oder behalten Sie es einfach für sich.


    Die Sorge, dass Studierende nicht live teilnehmen

    Wir lernen, wie wir wollen. Ihre Aufgabe darf es nicht sein, uns zu einer bestimmten Form des Lernens zu zwingen. Wer nicht zu Vorlesungen kommen möchte, braucht nicht zu Vorlesungen kommen. Das war bereits vor der Pandemie so und ist essentiell für ein selbstbestimmtes Studium. Studieren ist individuell und funktioniert für manche ausschließlich mit Büchern, für andere sind es Lerngruppen und für wieder andere der direkte Austausch mit Dozierenden während der Vorlesung. Es ist nicht ratsam, sich in der Woche vor der Klausur alle Aufzeichnungen gesammelt durch die Nächte anzuschauen, darüber besteht weitgehend Konsens. Wenn sich Studierende dennoch dazu entscheiden – oder vielleicht auch keine andere Möglichkeit hatten – und es für sie funktioniert, ist niemandem geholfen, wenn Sie ihnen diese Option nehmen. Die Freiheit des Lernens muss respektiert werden.


    Fehlende Interaktion

    Es gibt Lehrformate, die nicht mit einer Aufzeichnung vermittelt werden können, sei es praktisches Arbeiten oder intensive Gruppenarbeit in einer Sitzung mit zehn Studierenden. Wir verstehen das und zeigen Verständnis dafür, dass in diesen seltenen Fällen auf Aufzeichnungen verzichtet wird. Dem Gedanken aber, dass in Ihrer Vorlesung eine tatsächliche Interaktion mit 50, 100 oder 500 Studierenden stattfindet, widersprechen wir entschieden. Nein, Sie führen keine Diskussion mit hunderten Studierenden. Sie führen eine Diskussion mit ein paar wenigen. Dem stellen sich Aufzeichnungen nicht entgegen. Vergangene eLectures vor der Pandemie und aufgezeichnete Zoommeetings, die viele Dozierende aktuell zur Verfügung stellen, belegen: Die meisten Studierenden werden trotzdem live teilnehmen. Es gibt diese Gefahr nicht, dass Sie alleine in einem Zoommeeting sitzen und eine Diskussion verhindert wird.


    Fehlende technische Kompetenz

    Für uns wie für Sie ist die digitale Lehre in der aktuellen Form neu. Deswegen wenden wir uns mit diesem offenen Brief auch an alle Strukturen der Uni, insbesondere an die Senatskommission für Studium und Lehre, die Prorektorin für Studium und Lehre, die Studienbeiräte der Fachbereiche und die Studiendekan*innen der Fachbereiche sowie die Vorstände und die Direktor*innen der wissenschaftlichen Einrichtungen mit Lehrangebot. Bei Problemen, die die Dozierenden mit technischer Infrastruktur haben, muss unterstützt werden. Die aktuellen Richtlinien der Universität sind nicht ausreichend und geben technisch weniger versierten Dozierenden das Gefühl, es sei schwer und technisch kaum machbar. Für die wenigen Fälle, in denen das technische Verständnis fehlt, empfehlen wir mehr und besser bezahlte SHKs einzustellen.
    Um das Beste aus der Situation zu machen und ein angenehmeres Lehren und Lernen für alle zu ermöglichen, fordern wir Sie nachdrücklich auf, Ihre Vorlesungen aufzuzeichnen. 


    Solidarische Grüße
    CampusGrün